Ein Triathlet und ein Kanuclub bauen die härtesten offiziellen Trails in Deutschland | Ride MTB

Ein Triathlet und ein Kanuclub bauen die härtesten offiziellen Trails in Deutschland

Die Provinzstadt Eberbach im Neckartal ist beliebt bei Rentnern und Mountainbikern. Ihre Trails suchen Ihresgleichen – und das in Baden-Württemberg, dem Bundesland der Zweimeter-Regel.

Man kennt die Biker-Laute in den POV-Aufnahmen mittlerweile, wenn einer in eine richtig steile Passage einfährt und die nächste Kurve gerade noch kriegt. Diese atemlosen Ohs und kopfstimmigen Woohoos erklingen früher oder später auch in jedem Video über das Bikeländ in Eberbach. Mit Sicherheit dann, wenn der Kamerafahrer in einen der drei schwarzen Trails sticht. Und wie nur selten auf POV-Bildern ist erkennbar, wie steil das Gelände ist, durch das sich die handtuchbreiten Trails in der Falllinie Richtung Neckar ziehen.

Die vier Hügel um Eberbach – 30 Kilometer östlich von Heidelberg – sind das Heimrevier von Marvin «Mupfen» Kaufmann, deutscher Enduro Racer im Nicolai Team und Sieger von Trans Madeira 2022. Er ist in der Gegend gross geworden und hat sich da seinen Speed auf technischen Trails erarbeitet. Kaufmann hat aber auch miterlebt, wie die Biker mehr und mehr angefeindet und wie immer mehr Trails mit Holz zugeschmissen wurden. Also ergriff er mit seinen Buddies die Flucht nach vorn. Sie seien mit einer Karte zur Stadtverwaltung gegangen und hätten ihr darauf alle ihre Trails gezeigt und gefragt, wie sie diese legalisiert kriegen. So erzählt er es dem Reporter der deutschen GMBN.

Triathlet im Ämter-Marathon

Und hier kommt der Triathlet ins Spiel. Timo Bracht, zigfacher Ironman-Sieger und ebenfalls Eberbach Local, hatte die Ausdauer, sämtliche nötigen Gespräche und Verfahren mit den Stadtbehörden zu führen. «Es war ähnlich lang und schmerzhaft wie ein Ironman» erklärt er am Telefon. Aber weil er seiner Heimat etwas Gutes tun und selber weiterhin die Trails geniessen will, liess er sich auf das Abenteuer ein.

Dabei half ihm Heiko Mittelstädt von der Deutschen Initiative Mountainbike Dimb. «Die Dimb empfiehlt seit einigen Jahren ein unkompliziertes Verfahren, wie Singletrails genehmigt werden können», erklärt er am Telefon. Gedacht seien diese für technisch versierte Fahrer – also solche, die auf zwei Meter breiten Forststrasssen nicht glücklich werden.

«Das Bewilligungsverfahren für neue Freizeitwege ist seit Jahrzehnten bekannt und es ist relativ einfach», fährt der Süddeutsche fort. «In Baden-Württemberg ist dann noch zusätzlich durch die Forstbehörde eine Ausnahmegenehmigung von der 2-Meter-Regel zu erteilen, sodass schmale Wege mit Mountainbikes befahren werden dürfen.» Mit diesem Wissen und viel Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Behörden, Forst, Jagd und Grundbesitzern lotste Mittelstädt Bracht und seine Mitstreiter durch den Prozess.

12 Trails überstanden das Verfahren und sind jetzt offiziell für das Fahrradfahren freigegebene Wege. Keine Handvoll Strecken mussten die Biker aufgeben. Neu angelegt wurde so gut wie nichts, die Trails waren schon da. Sprünge und Anlieger dürfen nicht zu hoch sein, damit sie keine Baubewilligung brauchen. So sehen die Strecken des Bikeländ aus wie informelle Trails und fahren sich den Augenzeugen zufolge auch so. Und weil kaum etwas neu gebaut oder befestigt wurde, kostete das auch fast nichts. Mit 35'000 Euro schlug das ganze Trailnetz zu Buche. Der grösste Teil des Geldes floss in die Beschilderung und Kommunikation.

Alle Trails lassen sich zu einer 45 Kilometer Enduro-Runde mit 1800 Höhenmetern verbinden. Wer rechnet, erkennt: Der Höhenunterschied pro Abfahrt ist nicht gewaltig, die Länge auch nicht. Der Schwierigkeitsgrad ist hingegen teilweise sehr hoch.

Der Kanuclub als Trail-Pate

«Und wo bleibt denn nun der Kanuclub?», fragt sich vielleicht die Eine oder der Andere. Paddeln hat im Städtchen am Neckar eine lange Tradition, der Kanuclub Eberbach wird noch in diesem Jahrzehnt 100 Jahre alt. Der Bikesport ist seit langem ein beliebter Ausgleichssport. «Ich glaube, der heutige Präsident des Clubs hatte Ende der Achtziger als Erster ein Mountainbike in Eberbach», erinnert sich Timo Bracht. Weil es aber keinen Mountainbike-Verein gibt in Eberbach, bot der Kanuclub diese Struktur, die es braucht, um mit den Ämtern zu verhandeln. Praktisch auch, dass Brachts Ehefrau Bettina dort für den Ausgleichssport verantwortlich ist.

Der Kanuclub hat sich verpflichtet, auf den Trails zum Rechten zu sehen und diese in Schuss zu halten. Mupfen Kaufmann präzisiert, es seien jeweils zwei Leute als Trail-Paten für eine Strecke verantwortlich. Wenn etwas instandzustellen ist, tun sie das entweder selber oder machen die zuständige Stadtbehörde darauf aufmerksam. «Der Stadt sind die Trails etwas wert», betont Bracht.

Diese Aufgabe könnte jedoch auch zu einer grossen Bewährungsprobe für den Traditionsverein werden. Die Trails sind nur eingefahren, nicht befestigt. Sollten nun Heerscharen von Bikern das Bikeländ unter die Reifen nehmen, könnten die feinen Pfade zu tiefen Gräben werden. Gerade in steilem Gelände, wo stark gebremst wird, kann die Erosion besonders deutliche Spuren hinterlassen. «Das kriegen wir hin», ist Timo Bracht überzeugt, «wir haben die Power dafür.» Die Trailpflege bringe neues Leben in den Verein, beschreibt er die Stimmung.

Aktuell sei der Andrang gross, die Belastung der Trails hoch. «Darum ist es so wichtig, dass wir so viele Trails haben», erläutert Bracht. «Einige fanden am Anfang, wir forderten viel zu viel. Dabei braucht es die Verteilung auf die zwölf Trails, damit die einzelnen nicht zu stark leiden.» Hinzu kommt: Das Bikeländ ist kein Bikepark. Jeden Höhenmeter müssen die Biker aus eigener Kraft gewinnen. Das begrenzt die Anzahl Abfahrten, die eine einzelne Mountainbikerin macht. Die Frage ist, wie viele in den nächsten Monaten und Jahren nach Eberbach reisen, um sich auf den zwölf Trails auszutoben.

Wichtig ist: Das Projekt ist eine Erfolgsgeschichte. Im als eher Bike-skeptischen bekannten Baden-Württemberg hat eine weitere Gemeinde in wenigen Jahren informelle Trails in ein offizielles Trailnetz umgewandelt, von dem auch die meisten Schweizer Ortschaften nur träumen können.


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