Test: Simplon Rapcon Pmax Pinion – die Zukunft des E-Mountainbikes?
Darauf musste die Bike-Industrie lange warten: ein motorbetriebenes, beinahe wartungsfreies Antriebssystem ohne klassisches Schaltwerk. Pinion setzt mit der MGU einen Meilenstein in der Geschichte des Mountainbikes. Das Hegen und Pflegen der Kette und der Kassette ist vorbei, ebenso das gelegentliche Nachjustieren der Schaltung. Wie vom Auto gewohnt geht es nun alle 10’000 Kilometer zum Service, sprich Ölwechsel. Die zwölf Gänge werden durch den Einsatz von zwei Teilgetrieben ermöglicht. Der Gangwechsel geschieht mit einem elektronischen Trigger-Schalter. Weitere Highlights des Systems sind «Start Select» und «Pre Select». Ersteres legt im Stillstand einen vordefinierten Gang ein, damit man mit passender Übersetzung wieder lostreten kann. Letzteres schaltet beim Cruisen – Rollen, ohne zu Treten – einen automatisch berechneten Gang ein, der beim Wiederaufnehmen des Tretens Unterbrüche vermeiden soll. Start Select funktioniert einwandfrei. Die Pre-Select-Funktion legt nicht immer den perfekten Gang ein, aber stets einen, der so weit passt, dass weder ins Leere getreten wird, noch extremer Krafteinsatz nötig ist, um anzutreten. Gewöhnungsbedürftig ist, dass Pre Select beim Cruisen ständig schaltet, um einen passenden Gang bereitzustellen, und der Elektromotor des Getriebes dabei fast pausenlos surrt. Beide Funktionen werden über den System-Computer gesteuert und können individuell eingestellt werden.
Simplons Erfolgsmodell im Enduro-Segment ist das Rapcon. Dieses ist als klassisches Mountainbike und mit elektrischem Antrieb erhältlich. Die neueste Version ist mit dem Pinion-MGU ausgestattet und in zwei Versionen verfügbar: als E-Allmountain mit 150 Millimeter Federweg vorne und hinten sowie als Enduro-Ausführung mit 170 Millimeter an der Front und 165 am Heck. Die Ausstattung ist wie von Simplon gewohnt online oder beim Fachhändler individuell konfigurierbar. Für diesen Test stand das E-Enduro zur Verfügung.
Das Bike im Einsatz
Die Rahmengrösse M fällt eher klein aus, dadurch ist die Sitzposition aufrecht und enduromässig. Zum Glück hat die MGU ordentlich Power, denn das 25 Kilogramm schwere Geschoss braucht richtig Druck, um in die Gänge zu kommen. Diese schalten in der Ebene leise und kaum spürbar. Das ändert sich sofort, wenn es mit maximalem Fahrer-Input bergauf geht. Steigen die Kadenz und der Druck auf die Pedalen, ist der Pinion-Motor ziemlich laut. Wird dann vom 8. in den 9. Gang geschaltet, fällt das Getriebe kurz durch, die Kadenz bricht ein und der Uphill-Flow ist unterbrochen. Es fühlt sich an, als hätte man aus Versehen drei Gänge statt einen hochgeschaltet. Dasselbe geschieht vom 4. in den 5. Gang. Der Grund dafür ist, dass hier zwei Zahnradpaarungen gleichzeitig gewechselt werden und so für einen minimalen, aber spürbaren Unterbruch sorgen.
Die Kombination von aufrechter Sitzposition und starkem Motor macht das Simplon bergauf zu einer Rakete. Egal, ob auf Asphalt- und Schotterstrassen oder auf Singletrails. Dank der hohen Durchzugskraft der MGU können moderate Anstiege – mit entsprechender Eigenkraft – mit über 20 Stundenkilometern gemeistert werden. Oben angekommen hat der Akku noch mehr Saft als der Fahrer. Der Pinion-Motor braucht erstaunlich wenig Strom, nach 1000 Höhenmetern unter Vollbelastung sind noch 54 Prozent Reserve übrig. Der Motor wurde dabei sehr heiss, hat aber erst in den letzten Minuten minimal an Leistung verloren. Chapeau!
Offroad-Klettereien gehen mit dem Rapcon gut vonstatten, das Heck sorgt für eine ordentliche Traktion, einzig auf engen Kursen bergauf hemmt das hohe Gewicht des Bikes die Manövrierfähigkeit.
Das Fahrwerk ist ein klassischer «Schluckspecht», gibt wenig Feedback, «saugt» den Untergrund regelrecht auf und bietet viel Grip. Aufgrund des sehr progressiven Fahrwerks fährt es sich jedoch mehr wie ein Allmountain- als wie ein Enduro-Bike. Es gibt kaum den ganzen Federweg frei. Die Geometrie und das daraus resultierende Fahrverhalten gefallen grundsätzlich. Jedoch hemmt das hohe Gewicht den Fahrspass auf engen Kursen. Steile Abfahrten sind kein Problem, die hohe Front hält gut dagegen. Bei Absprüngen geht das Rapcon zäh in die Luft, es landet dafür umso sanfter.
Fazit
Das MGU-Antriebssystem ist schon hörbare Zukunftsmusik, es bleibt jedoch zu hoffen, dass Pinion die Problematik mit den beiden Gangsprüngen in den Griff kriegt. Für sportlich ambitionierte Biker ist das noch nicht befriedigend. Alle, die Bike-Touren gemütlich angehen, wird das sicher nicht gross stören. In der Abfahrt hinterlässt das Simplon Rapcon gemischte Gefühle. Fahrwerk und Geometrie gefallen gut, doch ist eine 25-Kilogramm-Bolide eine träge Angelegenheit.
Sacha Steiner