Emotional, hart und doch fair: Das waren die Olympischen Mountainbike-Rennen | Ride MTB

Emotional, hart und doch fair: Das waren die Olympischen Mountainbike-Rennen

Olympische Spiele Paris 2024

Für die Mountainbiker sind die Olympischen Spiele in Paris bereits vorüber. Ride-Redaktor Balz Weber nimmt die Geschehnisse zum Anlass für eine Rückblende. Im Fokus steht unter anderem das angeblich unfaire Überholmanöver von Tom Pidcock. Aus Webers Sicht war das völlig korrekt, was man von den Reaktionen der französischen Fans nicht behaupten kann.

Ladies first

Die Olympischen Mountainbike-Wettbewerbe beginnen mit dem Cross-Country-Rennen der Frauen. 

  • Auffallend war, dass eine schnelle Strecke kein Garant für spannende Rennen ist. Zwischen den Fahrerinnen entstanden schnell grosse Abstände, und Pauline Ferrand-Prevot toppte das mit ihrem Vorsprung von zeitweise über drei Minuten.
  • Eine schnelle und vermeintlich einfache Strecke birgt ebenso Defekt- und Sturzrisiken wie ein langsamer und anspruchsvoller Rundkurs: Loana Lecomte bekam das deftig zu spüren, als sie im Rockgarden ziemlich hart stürzte und das Rennen aufgeben musste. Glücklicherweise trug sie mit einer leichten Hirnerschütterung und einigen Kratzern keine ernsthaften Verletzungen davon. Sie war im Rennen der Männer wieder unter den Zuschauern. Neben Stürzen forderte die Strecke auch zahlreiche Plattfüsse. Die prominentesten «Opfer» waren Haley Batten, Alessandra Keller und Tom Pidcock. Bei anderen Fahrern gingen sogar ganze Laufräder zu Bruch.
  • Apropos Defekt: Den Akku eines Sram-Wechslers kann man eigentlich nicht verlieren, und schon gar nicht, wenn er zusätzlich mit Klebeband gesichert ist. Ausgerechnet an den Olympischen Spielen passiert es Sina Frei. Ein kleiner Sturz zu Beginn und eine Fahrerin, die das Schaltwerk touchiert, reichen, dass der Akku sich verabschiedet und Frei alle Chancen nimmt, Jolanda Neff würdig zu vertreten.
  • Das Beste in diesem fast langweiligen Rennen war der Kampf um Platz zwei. Haley Batten und Jenny Rissveds gaben es sich auf den letzten Runden so richtig hart und sorgten für das einzige scharfe Duell im Rennen.
  • Batten hat das bessere Ende und daran ändert auch nichts, dass die US-Amerikanerin im Finale verbotenerweise durch die Techzone ratterte, ohne Hilfe anzunehmen – eigentlich ein Regelverstoss. Einen wirklichen Vorteil zog sie nicht daraus, und wohl hat sie im Rennrausch und mit Puls am Dach diese Linie nicht absichtlich gewählt, also Schwamm drüber.
  • Neben der Bronzemedaille sollte Jenny Rissveds noch den Fairness-Preis verliehen werden: Die Schwedin informierte in der Techzone die US-Mechaniker, dass Haley Batten mit Plattfuss reinkomme, sodass die Jungs dann auch wirklich mit Ersatzlaufrädern bereit waren. Im Finale dann, als Batten durch die Feed- und Techzone fuhr, ohne Hilfe anzunehmen, schnappte sich Rissveds ordnungshalber eine Trinkflasche. Und zu guter Letzt leistete sie Pauline Ferrand-Prevot kurz vor der Siegerehrung moralischen Beistand, als diese mit ihren Emotionen über ihren Sieg noch nicht wirklich klarkam.
  • Apropos Emotionen: Ich nervte mich oft, dass Frau Ferrand-Prevot in praktisch keinem Rennen dieser Saison Emotionen zeigte, kaum ein Lächeln über die Lippen brachte. Sie vermittelte schon fast den Eindruck, dass Siegen ziemlich lästig ist. In Paris zeigte sich eine andere Pauline. Zwar fuhr sie bis auf die letzten 50 Meter wie ein Roboter, dann aber kamen die angestauten Emotionen. Sie heulte vor lauter Freude und Erleichterung Rotz und Wasser. Richtig schön, und ich heulte fast mit.

Ein Superrennen mit fadem Nachgeschmack

Das Rennen der Männer sorgte für ein Höchstmass an Spannung und Spass, und es endete mit undifferenzierten TV-Kommentaren und schlechten Verlierern.

  • Send it Boys! Trotz sehr hoher Pace liessen es sich die Fahrer nicht nehmen, zu Beginn über die Sprünge abzustylen. Von den weltbesten Mountainbikern waren Tabletops und Whips sowie von Charlie Aldridge sogar ein Toboggan zu sehen. Das ist, wenn der Fahrer während der Airtime nach hinten lehnt, mit einer Hand den Sattel greift und den Lenker einschlägt. Hammer, und das im Cross Country!
  • Tom Pidcock hatte einen Plattfuss, musste zum Radwechsel, und dieser dauerte zu lange, weil die Mechaniker nicht bereit waren. Das ist schon peinlich und hätte rennentscheidend sein können – ok, war es nicht. Nichtsdestotrotz, in der Formel 1 hätten die Herren ihren Job verloren.
  • Nino Schurter hat sich seine letzten Olympischen Spiele wohl anders vorgestellt. Laut meinem Ermessen war er top vorbereitet und wirkte sehr entspannt. Im Rennen kam das leider nicht zum Zug. Schurter konnte nicht vorne mithalten und machte einen Fahrfehler, der ihm sonst nie passieren würde. Und trotzdem, unter diesen Umständen nicht aufzugeben und mit dem vielleicht schlechtesten Tag seit Jahren dennoch Neunter werden – Chapeau Nino!
  • Das Finale des Männerrennens geht ganz sicher als eines der besten in der Mountainbike-Geschichte ein – inklusive Weltcup. Wie sich Tom Pidcock und Victor Koretzky duelliert haben, das war ganz grosses Kino!
  • Einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen jedoch die Reaktionen über das Finale, genauer über Pidcocks Überholmanöver. Dieser nutzte aber schlicht die Lücke, die Koretzky ihm aufgetan hat und behinderte ihn in keiner Weise. Die Beinahekollision zwischen den beiden ist also nicht Pidcock, sondern Koretzky zuzuschreiben. Im Eifer des Gefechts wollte er hektisch zu machen, als der Brite aber das Rad schon vor dem des Franzosen hatte. Mit diesem harten Schlenker gegen Pidcock brachte sich Koretzky ins Taumeln und damit um die letzte Chance für Gold. Schade, denn das wäre eine legendäre Sprintentscheidung geworden. Dazu merke ich an, dass jeder grosse Rennfahrer schon mindestens einmal eine solche Lücke äusserst knapp zu seinen Gunsten nutzte, im Gegenzug aber auch so um einen Sieg kam – hart, knapp aber fair!
  • Es störte mich, dass diese Rennsituation von den SRF-Kommentatoren nicht objektiv betrachtet wurde. Auch wenn Pidcock nicht bei allen gut ankommt, sein Manöver war korrekt! Aber vielmehr stören, nein eher enttäuschen mich die Reaktionen der französischen Fans, die Pidcock bei der Zieleinfahrt ausbuhten. Ich verstehe die Enttäuschung, und aus persönlicher Sicht hätte ich auch lieber Koretzky als Sieger gehabt, aber das ist schlicht und einfach eine unsportliche Reaktion und eines Gastgebers nicht würdig!

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